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Die Sorge vor dem Vogelgrippevirus wächst. Droht eine neue Pandemie? | Wiener Zeitung

Die Sorge vor dem Vogelgrippevirus wächst. Droht eine neue Pandemie? | Wiener Zeitung
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Weltweit wächst die Sorge vor dem Vogelgrippevirus. Der Subtyp H5N1 hat bereits ganze Vogelpopulationen auf nahezu jedem Kontinent getötet. Immer mehr Tierarten sind befallen. Zuletzt infizierten sich in den USA Rinder – ein Novum in der Entwicklung des Erregers. Über die Milchkühe stecken sich auch Farmarbeiter:innen an. Hat die Krankheit das Potenzial, eine neue Pandemie zu werden?

Expert:innen entwarnen: Noch ist der Mensch in der Infektionskette eine Sackgasse. Anders als dem Coronavirus Sars CoV-2 fehlen H5N1 zwei grundlegende Voraussetzungen für eine pandemische Ausbreitung: Er überträgt sich nicht von Mensch zu Mensch und er verbreitet sich nicht über den schnellsten Pfad, nämlich die Luft. Somit ist eine Vogelgrippe-Pandemie beim Menschen bis dato kein realistisches Szenario.

Dennoch heißt es wachsam sein. Denn hatten wir nicht schon so etwas Ähnliches? Vor etwa 20 Jahren gab es Nachrichten über eine neue Krankheit auf einem anderen Kontinent. Wenig betroffen nahmen wir die Berichte über das „Schwere Akute Respiratorische Syndrom“, auch Sars genannt, zur Kenntnis als Lungeninfektion, die sich, weit weg von uns, in Asien verbreitete. Bis das auslösende Coronavirus zu Sars-CoV-2 mutierte, im Herbst 2019 von Tieren auf Menschen übersprang und sich direkt über die Atemwege von Mensch zu Mensch verbreitete. Wir belächelten Asiat:innen, die Masken trugen, nicht mehr, sondern taten es ihnen gleich.

Gefährliche Erreger-Mischung

„Viele Augen sind auf die Vogelgrippe gerichtet“, sagt der Virologe Andreas Bergthaler von der Medizinuniversität Wien zur WZ. Mit der Anpassung an Milchkühe habe sich H5N1 eine neue Wirtsspezies eröffnet, die in engem Kontakt zu Menschen steht. Allerdings müsse sich der Vogelgrippe-Erreger „noch sehr stark weiter verändern, um sich von Mensch zu Mensch zu übertragen“, sagt Bergthaler.

Bisher ist das noch nicht gelungen. 1997 gab es zum allerersten Mal in Hongkong Übertragungen von Tieren auf Menschen auf Märkten, auf denen es lebende Hühner und Enten zu kaufen gab. 2003 verbreitete sich das H5N1-Virus mit Zugvögeln zuerst in Südostasien, später in den Nahem Osten und dann weiter nach Europa und Afrika. „Auch damals infizierten sich zahlreiche Menschen, aber stets vom Tier, wobei die Schwere der Infektion vom Ausmaß der Viruslast abhängt“, ordnet der Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York ein, der für die dortige Beobachtung der H5N1-Ausbreitung zuständig ist.

In der jüngsten Vergangenheit verbreitete sich die Vogelgrippe ab 2020 wieder stark in Zugvögeln − und nun in Säugetieren. „Das Virus hat damit weitere Möglichkeiten, zu mutieren und sich anzupassen“, erklärt Bergthaler. H5N1 besitzt keine Reparatur-Mechanismen im Gegensatz zu Sars-Cov-2 und kann sich daher auch leichter verändern. Zusätzlich ist das Genom der Influenza-Viren flexibler. Man könnte sagen, seine Erbinformation ist, anders als beim Coronavirus, nicht nur in einem, sondern in acht Büchern abgespeichert. Wenn nun zwei unterschiedliche Influenza-Viren in dieselbe Zelle eindringen, werden manchmal einzelne „Bücher“ ausgetauscht und das Genom erfährt dadurch mit einem Schritt eine größere Veränderung. Das könnte beispielsweise dazu führen, dass das resultierende Virus einen neuen Rezeptor an der Oberfläche der Viruspartikel erhält, wodurch es leichter neue Wirte infizieren kann.

Drohende neue Tierseuche

Diese Dynamik könnte insbesondere in der kalten Jahreszeit an Fahrt gewinnen, wenn die saisonale Grippewelle die Nordhalbkugel wieder im Griff hat. „Wenn im Winter Farmarbeiter die saisonale Influenza haben, etwa der gängigen Stämme H1N1 oder H3N2, sich dann zugleich mit H5N1 anstecken und sich die Genomsegmente der Viren austauschen, könnte es brenzlig werden“, warnt Krammer im Gespräch mit der WZ. „Da könnte es zu einer Variante kommen, die von Mensch zu Mensch gut übertragbar ist, und das ist die Gefahr. Wenn der Vogelgrippe dieser Schritt gelingt, müssten wir mit einer Pandemie beim Menschen rechnen“, führt er ins Treffen.

Doch das ist nicht alles. Ausgehend von den riesigen Rinderfarmen der USA, befürchten manche Expert:innen, dass die Vogelgrippe eine neue Tierseuche bringen könnte. „Die bekannten Vogelgrippe-Fälle sind nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs“, zitiert etwa das Magazin Focus den deutschen Virologen Alexander Kekule. Mindestens 130 Infektionen in einem Dutzend US-Bundesstaaten hat die CDC inzwischen gezählt. Über die Milch infizieren Kühe ihre Kälber, über Kot und Milch frisch aus dem Euter stecken sich die Farmarbeiter:innen an.

Als nachgewiesen gilt, dass Vogelgrippe-Viren durch Pasteurisierung unschädlich gemacht werden, und somit im Tetrapak keine Gefahr darstellen. Doch wenn die USA die Verbreitung von H5N1 unter Milchkühen nicht in den Griff bekommen, „hätte man unter Umständen weltweit eine völlig neue Rinderkrankheit“, sagte kürzlich der Vizepräsident des deutschen Friedrich-Loeffler-Instituts, Martin Beer, in einem Interview mit der Austria Presse Agentur. Weltweit würden 1,5 Milliarden Rinder gehalten. Bei einer neuen, globalen Rindergrippe stiege auch das Risiko für andere Nutztiere, etwa wenn verunreinigte Rohmilch an Schweine verfüttert würde. Hinzu kommt: Ein Säugetier ist dem Menschen biologisch näher als ein Vogel, was die Ansteckungsgefahr erhöht.

Wenig aus der letzten Pandemie gelernt

Was haben wir aus der letzten Pandemie gelernt? Laut dem Virologen Fabian Leendertz vom Helmholtz Institut für One Health wohl eher wenig. Er kann es kaum fassen, dass es mit der Vogelgrippe so weit gekommen ist. „Ich finde es erstaunlich, dass in den USA nicht konsequentere Überwachungsmaßnahmen ergriffen werden. Ich frage mich schon, wie viel wir wirklich aus Corona gelernt haben, wenn in einem hoch entwickelten Land das Geschehen nicht völlig verstanden ist“, sagte Leendertz zur Wochenzeitung Die Zeit.

Das Virus hat jetzt weitere Möglichkeiten, zu mutieren und sich anzupassen.

Andreas Bergthaler

Das Geschehen ließe sich durch konsequente Quarantäne-Maßnahmen eindämmen. „Aber es gibt Probleme, weil in den USA unterschiedliche Behörden zuständig sind: die FDA für Milch, die USDA für die Kühe, die CDC für Human Health. Zugleich haben die Bundesstaatsagenturen in den einzelnen Staaten wenig Durchgriffsrecht, da dort wiederum die lokalen Behörden zuständig sind“, erklärt Florian Krammer. „Und die Industrie hat großes finanzielles Interesse. Das Problem ist derzeit kein wissenschaftliches Thema, sondern eine Policy-Frage.“ Mächtige US-Rinderzüchter halten eine öffentliche Debatte klein. Das fällt kaum auf, weil Rinder in der Regel nur leicht erkranken.

Ganz anders agiert da etwa Skandinavien: So hat Finnland aus Sorge vor steigenden Fallzahlen damit begonnen, Arbeitende auf Geflügelfarmen, Tierärzt:innen und Forschende gegen die Vogelgrippe zu impfen. Die finnischen Behörden nutzen dafür „Zoonotic Influenza Vaccine“, ein H5-Grippeimpfstoff, der auf dem Virussubtyp H5N8 beruht.

Für Menschen gibt es Medikamente

Bis Mitte Juli hatte die US-Behörde CDC acht Infektionen beim Menschen registriert, die leichte Verläufe erlitten hätten. Die Vogelinfluenza kann jedoch auch zu schweren Erkrankungen führen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden seit 2003 weltweit über 2.600 humane Infektionen und 1.100 Todesfälle mit Vogelgrippe nachgewiesen, davon die meisten im asiatisch-pazifischen Raum.

Unweigerlich stellt sich daher die Frage nach einer Prävention und einer Therapie im Fall der Fälle. Die WHO hat Vereinbarungen mit 15 Impfstoffherstellern getroffen, um Grippeimpfstoffe auch gegen H5N1 weiterentwickeln zu können. Antivirale Medikamente, die schwere Symptome effektiv lindern, darunter das bekannte Tamiflu, sind in Apotheken erhältlich, allerdings wurden sie nicht eigens gegen die Vogelgrippe, sondern gegen saisonale Influenza entwickelt. Die liegen nicht in einem Ausmaß auf Vorrat, das einer Pandemie entsprechen würde. „Wir sind besser vorbereitet als vor Corona, die Frage ist nur, wie schnell man genügend Dosen bereitstellen kann, und zwar nicht nur in Nordamerika und Europa, sondern auf der ganzen Welt“, sagt Krammer.

Laut der Agentur für Ernährungssicherheit gibt es die Vogelgrippe in Österreich derzeit nur in Vögeln. Bei den heimischen Betrieben mit 30 bis 100 Kühen wäre eine Seuche möglicherweise leichter einzudämmen als in den USA. Vorausgesetzt, man ist bereit, auf Profite zu verzichten und das Wohl von Tier und Mensch voranzustellen.


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Infos und Quellen

Genese

Nachdem WZ-Redakteurin Eva Stanzl für die gedruckte Wiener Zeitung im gesamten Verlauf der Corona-Pandemie über die Entschlüsselung und Bekämpfung von Sars-CoV-2 berichtet hatte, fragte sie sich, ob die Vogelgrippe eine ähnliche Bedrohung darstellen könnte.

Gesprächspartner

Florian Krammer, geboren am 17. Dezember 1982 in Voitsberg, ist Professor für Impfstoffkunde an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York City, und Professor für Infektionsmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Im September 2019 erhielt Florian Krammer gemeinsam mit anderen Forscher:innen zwei Millionen Dollar von der Bill & Melinda Gates Foundation zur Entwicklung eines Grippeimpfstoffs, der auf breiter Basis gegen viele Virusstämme schützen soll. Ab 2025 wird er außerdem das Ludwig Boltzmann Institut für Pandemievorsorge leiten.

Andreas Bergthaler (46), geboren in Salzburg, ist Professor für Molekulare Immunologie an der Medizinuniversität Wien und leitet das Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie am dortigen Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie. Er und sein Team untersuchen, wie Entzündungsprozesse reguliert werden und wie das Immunsystem auf Virusinfektionen reagiert. Andreas Bergthaler leitet außerdem eine Forschungsgruppe am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

Daten und Fakten

  • Vogelgrippe: Unter der „Vogelgrippe“ (aviäre Influenza) versteht man in erster Linie eine Erkrankung durch Influenza A-Viren bei Vögeln. Diese Viren können unter Umständen auch Erkrankungen bei Menschen hervorrufen, was ebenfalls als Vogelgrippe bezeichnet wird. Aviäre Influenzaviren können nicht leicht von Tieren auf den Menschen übertragen werden, aber wenn eine solche Infektion stattfindet, kann die Krankheit bisweilen sehr schwer verlaufen. Es gibt derzeit weltweit keine Hinweise für eine fortgesetzte Mensch-zu-Mensch-Übertragung mit der Vogelgrippe.

    Symptomatik: Während niedrigpathogene Vogelgrippe-Viren keine oder nur milde Symptome verursachen, kommt es bei Infektionen mit hochpathogenen Varianten zu schweren Krankheitsverläufen und hohen Sterberaten. Besonders betroffen sind Hühner, Puten und zahlreiche wildlebende Vogelarten. Die Symptome reichen von Atemwegsbeschwerden bis hin zu schwerer Atemnot, Durchfall, Blutungen, Mattigkeit und Fieber. Enten, Gänse und einige Wildvogelarten zeigen in der Regel keine oder nur milde Symptome, sind aber für die Erregerverbreitung von Bedeutung. Bei Säugetieren verläuft eine Infektion oft symptomlos oder mit milden grippalen Symptomen. Infektionen mit bestimmten Varianten können jedoch auch zu schweren und tödlichen Erkrankungen führen.

  • Situation in Österreich: Von Oktober 2023 bis April 2024 wurde in Österreich in insgesamt vier Geflügelhaltungen Geflügelpest festgestellt. In allen Bundesländern, mit Ausnahme Salzburgs, wurde in diesem Zeitraum der Erreger auch bei Wildvögeln gefunden.

  • Medikamente: Menschen, die sich mit dem Vogelgrippevirus H5N1 anstecken, sollen die Grippemittel Tamiflu und Relenza helfen. Die Medikamente wurden zur allgemeinen Behandlung der Influenza entwickelt, sind keine speziellen Mittel zur Bekämpfung des Vogelgrippe-Erregers. Je schneller sie gegeben werden, desto wirksamer sind sie. Beide Präparate sind sogenannte Neuraminidase-Hemmer. Diese verhindern die Vermehrung der Grippeviren im Körper, indem sie ein Enzym stören, das zum Ablösen neu produzierter Erreger von der sterbenden Wirtszelle benötigt wird. Der Tamiflu-Wirkstoff Oseltamivir ist nach Angaben des Herstellers Roche der erste Neuraminidase-Hemmer zum Schlucken. Der Relenza-Wirkstoff Zanamivir des Herstellers GlaxoSmithKline muss als Pulver inhaliert werden. Tamiflu ist außer für die Behandlung auch zur Vorbeugung zugelassen. Sowohl der Hersteller als auch Mediziner:innen betonen jedoch, dass das Mittel nicht zur Routine-Prophylaxe gedacht ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Rahmen ihres Pandemie-Bereitschaftsplans empfohlen, dass die einzelnen Länder Vorräte an antiviralen Medikamenten wie Tamiflu und Relenza anlegen sollen, die gegen sämtliche Stämme von Grippeviren wirksam sind.

Quellen

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